Wertfreie Wahrnehmung

Als ich seit über ca. 20 Jahren wieder mal eine Tageszeitung bzw. den Stadtanzeiger las, habe ich einen tollen Artikel gelesen, den ich hier gerne zeigen möchte:

BIRKS INPOD

Trinkgeld

Sitze im Bistro. Nach einer halben Stunde kommt die Bedienung, und fragt:“ Für Sie?

Ich:“Einen Tee bitte.“ Sie wirkt genervt. Das Getränk kommt nach ca. 10 Minuten. Als ich zahlen will, das gleiche Spiel: Warten, warten, warten.

„Macht 2 Euro 80!“

Bin genervt, mag kein Trinkgeld geben. Da trifft mich ein innerer Impuls:>> Mach das Gegenteil von dem, was die Wut dir sagt<< Also reiche ich ihr 10,–€ rüber und sage:“Stimmt so.“

Geschockt fragt sie: “ Wie wieso tun sie das?“ „Wieso nicht? So wie Sie drauf sind, hatten sie entweder einen harten Tag oder es geht Ihnen nicht gut.“Sie schaut mich an, setzt sich und legt los: “ Heut ist mein freier Tag. Um 10 Uhr rief mich mein Chef an und bat mich, bis Eins einzuspringen. Die beiden anderen seien krank. War alleine mit dem Koch und hatte mehr als 60 Leute zum Mittagessen. Wollten alle draußen sitzen. Musste alle Tische und Stühle aufbauen und alles doppelt so weit tragen. Um Eins ruft der Chef an, die Bedienung hätte auch Grippe, ich solle bleiben, er müsse sonst zumachen. Der Koch ging um 2 und ich durfte den Schön-Wetter-Ansturm alleine bewältigen. Die Abendschicht kam auch nicht. Bin seit 13 Stunden hier. Jeder hat sich beschwert und keiner hat gefragt, wie ich das alles packe und jetzt kommen sie und machen so was! Warum?“

„Weiß auch nicht. Wut war mir zu anstrengend. Und etwas in mir sagte: Urteile nie, bevor du den Grund für das Verhalten kennst. Hab mit so was auch nicht gerechnet, wollte nur Tee trinken.“

*Ludwigsburger Stadtanzeiger 17.04.2013